Für neue Technologien ist Kreativität entscheidend

Die Bildverarbeitungsbranche lebt von Innovationen. Aber wie entstehen neue Technologien und wie finden diese ihren Weg in die Praxis? Rebecca König, Research Engineer in der Forschungsabteilung der MVTec Software GmbH nimmt uns mit an ihren Arbeitsplatz und schildert den Weg von der ersten Idee bis zur Implementierung.

Rebecca König, Research Engineer bei MVTec

Es ist ein winterlicher, vorweihnachtlicher Morgen im Dezember. Wir stehen zusammen mit Rebecca König in der Kaffeeküche in der MVTec-Zentrale in München. Während der Kaffee in die Tasse läuft, fragen wir Rebecca, was denn das Erfüllende an ihrem Beruf sei. Die Forscherin überlegt kurz. Sie arbeitet bereits seit 2017 in der Forschungsabteilung von MVTec. Zuvor hatte sie an der TU München Mathematik studiert. Im Anschluss hat sie bei MVTec ihre Masterarbeit geschrieben und auch als Werkstudentin hier gearbeitet. Noch während der Milchschaum auf den Cappuccino tropft, antwortet Rebecca: „Am schönsten ist es, wenn man mitbekommt, dass die Software-Algorithmen, die man selbst entwickelt hat, nicht nur in der Simulation funktionieren, sondern sich auch in der Praxis bewähren.“

Kundenrückmeldung als Ausgangspunkt für Neuentwicklungen

Was für Rebecca den Reiz an ihrer Arbeit ausmacht, ist auch ein wichtiger Punkt für die Machine-Vision-Branche als Ganzes. Denn die vielen kleinen und großen Innovationen, die die Forschungs- & Entwicklungsteams der Unternehmen leisten, verleihen der Branche ihre Dynamik. „Ein großer Teil der Neuentwicklungen bei MVTec gehen auf konkrete Problemstellungen der Kunden zurück. Unsere Aufgabe in der Forschungsabteilung ist es dann, für solche Fälle, die sich nicht mit vorhandenen Methoden lösen lassen, neue Wege zu finden“, erklärt Rebecca.

Datensätze sind Grundlage für neue Methoden

Die Art und Weise, wie Rebecca und ihre rund zehn Kolleginnen und Kollegen vorgehen, ist an die universitäre Forschung angelehnt. Zunächst steht Literaturrecherche auf dem Programm. Es wird geprüft, ob für einen ähnlichen Fall bereits wissenschaftliche Veröffentlichungen, sog. Paper, oder sogar Datensätze vorliegen. Solche Datensätze sind umfangreiche Bilddateien, anhand derer neue Methoden und Technologien erprobt werden. Die Datensätze spielen eine wichtige Rolle. Daher entwickelt MVTec, wenn es noch keine gibt, eigene und stellt diese wiederum der Forschungsgemeinschaft zur Verfügung.

Tatsächlich ist es sogar eines der Ziele von Rebecca und ihren Kollegen, die gesamte Forschungscommunity mit eigener Forschungsleistung in Form von Datensätzen und Veröffentlichungen zu unterstützen „Wir bieten die Datasets zum Download an und gehen auch regelmäßig auf Fachkonferenzen, um unsere eigene Arbeit zu präsentieren oder Kontakte oder Austausch mit anderen Forschern zu treten. So entstehen spannende neue Ideen für die eigene Arbeit,“ sagt sie. Das vorrangige Ziel der MVTec Forschungsabteilung aber ist es, aktuelle Forschungsergebnisse möglichst rasch in die Softwareprodukte von MVTec zu implementieren. Dazu beschäftigt MVTec zehn festangestellte Mitarbeiter sowie Doktoranden und Masteranden in der Forschungsabteilung.

Szenenwechsel. Mittlerweile sind wir an einem von mehreren Arbeitsplätzen von Rebecca angekommen. Im MVTec App Labor stehen verschiedene Geräte, Kamerasysteme und sogar ein Roboter. Dort werden Applikationen für Messen entwickelt, Anwendungen aus der Praxis simuliert und eben jene Datensätze erstellt. Ein Datensatz zur Entwicklung neuer Methoden benötigt, je nach Fall, in etwa 2.000 Bilder. Die wollen erstellt werden. „Wir haben besonders hohe Anforderungen aus der Praxis. Um robuste Methoden zu entwickeln, ist daher ein umfangreicher Datensatz Voraussetzung“, klärt Rebecca auf.

Für neue Algorithmen ist Kreativität gefragt

Wir haben wieder den Arbeitsplatz gewechselt und sitzen an Rebeccas Büroarbeitsplatz. Nach der Erstellung der Datensätze geht hier die eigentliche Arbeit los. Der nächste Kaffee steht auch bereit. „Die letzte Anfrage aus der Praxis konnte mit vorhandenen Methoden nicht gelöst werden. Keine Chance. Jetzt muss was Neues her. Vielleicht kann hier Deep Learning weiterhelfen“, hofft Rebecca. Deep Learning ist seit einigen Jahren die Trend-Technologie der Branche. Auch bei MVTec fließen Zeit und Hirnschmalz in die Entwicklung neuer Deep-Learning-Ansätze.

Der jüngste Erfolg ist „Global Context Anomaly Detection“. Die Weiterentwicklung von „Anomaly Detection“ ist in der Lage, den logischen Inhalt zu verstehen und auf das ganze Bild bezogene Fehler zu erkennen.

Beispielsweise können verrutschte oder falsch bedruckte Flaschenetiketten oder fehlende Bauteile – etwa auf Leiterplatten – erkannt werden. Die Technologie ist in dieser Form eine Weltneuheit.

Zurück zum aktuellen Problem. Rebecca ist dabei, eine neue Deep-Learning Netzwerkarchitektur zu entwickeln. Der dazu programmierte Algorithmus, der hinter diesem Netz steckt, wird anschließend mit dem Datensatz gefüttert. Das bedeutet, das Deep-Learning-Modell wird auf einem Teil der Daten trainiert. Auf den restlichen Daten wird getestet und evaluiert, wie gut der Algorithmus das Problem löst. „Es gibt nicht den einen Weg, der zum Ziel führt, sondern es ist Kreativität gefragt. Ein Beispiel, wie man auf kreative Art und Weise zum Ziel kommt, ist, zwei verschiedene, komplementäre Ansätze in einem Algorithmus geschickt zu verbinden. So werden die Vorteile beider Algorithmen ausgenutzt. Ein anderes Beispiel ist es, an verschiedenen Stellschrauben eines Algorithmus zu drehen. So ist es möglich, auch noch die letzten Prozentpunkte an Performance herauszuholen. Und genau das ist das, was mir an meiner Arbeit Spaß macht“, sagt Rebecca und führt weiter aus: „Wir haben uns im Team bewusst große Freiräume geschaffen, um Sachen einfach auszuprobieren. Daher trauen wir uns auch an risikoreiche Projekte, von denen wir nicht im Vorfeld wissen, ob sie klappen. Scheitern ist erlaubt.“

Integration der Forschungsergebnisse in die MVTec-Softwareprodukte

Wie aber schafft eine neue Technologie den Sprung in die Praxis? Nachdem eine neue Methode marktreif ist, geht es darum, diese in eine der MVTec-Softwareprodukte zu implementieren. „Dazu wechseln wir aus der Forschungsabteilung in die Entwicklung. Wir sind dann Teil der Entwicklungsteams und unterstützen dabei, den Algorithmus in die Produkte zu integrieren“, sagt Rebecca. Mit dem nächsten Softwarerelease ist dann auch die neue Technologie für die Kunden zugänglich. Und dann heißt es: warten auf das erste Kundenfeedback.