Machine Vision: In der Halbleiterfertigung geht’s nicht ohne

Meldungen, dass in Europa Investitionen in Fertigungskapazitäten für die Halbleiterproduktion verschoben oder ausgesetzt werden, sind derzeit in aller Munde. Die gute Nachricht: An der grundsätzlichen Entwicklung ändern sie nichts. Denn – egal ob im industriellen oder im privaten Umfeld – alles wird digitaler und zunehmend KI-lastiger. Der Technology Report 2024 der Unternehmensberatung Bain & Company kommt sogar zu der Vorhersage, dass aufgrund der KI-bedingten Nachfrage nach Grafikprozessoren, bestimmte, vorgelagerte (Halbleiter-) Komponenten bis 2026 um mindestens 30% mehr nachgefragt werden. So hat die Fertigung von Halbleitern höchste Bedeutung und wird nachhaltig wachsen. Klaus Schrenker, Business Development Manager bei MVTec, erklärt, für welche Tätigkeiten die industrielle Bildverarbeitung bei der effizienten Fertigung von Halbleitern schon heute essenziell ist und welche Mehrwerte sie bringt.

Klaus Schrenker, Business Development Manager bei MVTec.

Nicht viele andere Produkte benötigen so viele Produktionsschritte wie die Halbleiterfertigung. Die Produktionsprozesse in dieser Branche sind aufwendig und umfassen hunderte verschiedene Schritte, was die Implementierung und Abstimmung von Abläufen entsprechend komplex und sensibel macht. Daher sind hier Technologien gefragt, die schnell eingesetzt und angepasst werden können und gleichzeitig die Effizienz der Fertigung steigern. Eine Schlüsselrolle dabei spielt die industrielle Bildverarbeitung. Denn mit ihr können die zahlreichen notwendigen Inspektions- und Ausrichtungsprozesse bei der hochpräzisen Halbleiterfertigung automatisiert und exakt durchgeführt werden. Mit robuster Machine-Vision-Software werden dabei Anwendungen wie Defekterkennung, Vermessung sowie Matching und Ausrichtung umgesetzt, von denen viele Prozessschritte ganz besonders profitieren.

Leistungsstarke Machine-Vision-Technologien geben den nötigen Schub

In praktisch jedem Produktionsszenario der Halbleiterfertigung gibt es mindestens einen Schritt, in dem überprüft wird, ob das Produkt funktionale oder optische Defekte aufweist. Diese Qualitätskontrolle automatisiert mit Machine Vision durchzuführen, bietet zahlreiche Vorteile gegenüber der manuellen Prüfung:

Machine Vision ist viel schneller, die Ergebnisse sind objektiv und reproduzierbar, und die Qualität der Inspektion läuft nicht Gefahr, durch Ermüdung oder durch die Monotonie der Aufgabe nachzulassen.

Für diesen Zweck bringen auch Deep-Learning-Technologien noch das gewisse Extra: Beispielsweise ermöglicht die Deep-Learning-basierte Anomalieerkennung automatisierte Oberflächeninspektionen, unter anderem zur Erkennung und als Basis für die spätere Segmentierung von Defekten, die vorher schlicht unmöglich waren.

Im Hinblick auf die Qualitätskontrolle ist neben der Prüfung auf Defekte auch die Bestimmung der Maßhaltigkeit essenziell.

Industrielle Bildverarbeitung macht die subpixelgenaue Vermessung von Kanten entlang von Linien oder Kreissegmenten in wenigen Millisekunden möglich.

Darüber hinaus gibt es Methoden zur 3D-Vermessung: Disparitätsbilder, Distanzbilder oder die 3D-Koordinaten von Oberflächen können mittels unterschiedlicher, ausgeklügelter Verfahren rekonstruiert werden. Neben der Qualitätsinspektion ist das Finden beziehungsweise Ausrichten von Wafern und Chips ein weiterer Anwendungsfall, bei dem Machine Vision sehr effektiv unterstützen kann. Dabei kommt vor allem das subpixelgenaue Shape Matching zum Einsatz. Diese Technologie findet Objekte präzise und robust in Echtzeit. Dies funktioniert sogar, wenn sie rotiert, skaliert, perspektivisch verzerrt, lokal deformiert, teilweise überdeckt oder außerhalb des Bildes liegen.

Und das heißt für die Praxis genau was?

Bumps in der Vergrößerung.

Grob gesagt, gliedert sich der Produktionsprozess von Halbleitern in die Frontend- und die Backendfertigung. Im Zuge der Frontendfertigung werden wiederholt chemische und physikalische Verfahren auf einem Substrat, d.h. einem Wafer, angewandt, um schichtweise mikro-elektronische Schaltungen herzustellen. Die jeweiligen Wafer werden dann in der Backendfertigung vereinzelt, kontaktiert, mit einem Gehäuse versehen und für den Gebrauch vorbereitet. Machine Vision bietet ein breites Spektrum an Technologien, die bei zahlreichen Prozessschritten sowohl bei der Frontend- als auch bei der Backendfertigung eingesetzt werden können.

Beginnen wir beim Frontend. Eine wichtige Anwendung – und gleichzeitig die Paradedisziplin von Machine Vision – ist die Defekterkennung, beispielsweise das robuste Erkennen verschiedenster Defekte auf der Oberfläche eines Wafers. Bildverarbeitungstechnologien identifizieren mikroskopische Risse, Kratzer und Partikelverunreinigungen auf der Waferoberfläche, und das auch bei schwierigen Lichtverhältnissen. Dabei können verschiedene Technologien herangezogen werden, zum Beispiel die Deep-Learning-basierte Anomalieerkennung oder ein „klassisch“ trainiertes Variation Model.

Um das Maximum an Geschwindigkeit und Performance zu erreichen, empfiehlt sich häufig die Kombination aus regelbasierten Algorithmen und KI-Methoden.

Ein weiteres Beispiel bei der Frontendfertigung ist das Vermessen von sogenannten Wafer-Bumps. Das sind hervorstehende, metallische Lötkugeln, die auf dem Wafer angebracht werden. Die Bumps sorgen für die Verbindung zwischen dem Chip und beispielsweise der Leiterplatte. Ihre exakte Höhe, ihr Durchmesser und die allgemeine Gleichmäßigkeit der Strukturen sind also entscheidend für einwandfreie Funktionalität und Zuverlässigkeit. Diese Art der Qualitätsinspektion lässt sich mit den 3D-Bildverarbeitungstechnologien, wie 3D-Oberflächeninspektion, formbasiertem 3D-Matching oder der 3D-Vermessung sicherstellen.

Auch für die Backend-Fertigung gibt es schöne Beispiele, wie Machine Vision unterstützen kann. Ein Anwendungsfall ist das Drahtbonden, also das Anbringen der Verbindungsdrähte zwischen Halbleiter und Gehäuse bzw. anderen Bauteilen. Die Bondinspektion ist ein bewährter Qualitätskontrollprozess, insbesondere beim Einhäusen des Chips. Es geht darum die Position des Drahtes und die Unversehrtheit des Bonds auf mikroskopischer Ebene mit höchster Präzision zu prüfen. Machine-Vision-Technologien, die hierzu herangezogen werden, sind subpixelgenaue Vermessungen in 2D und 3D. Sie erkennen zuverlässig kleinste Positionsabweichungen und Lücken, selbst bei komplexen Hintergründen. So können beispielsweise Querschnittsprofile entlang der lokalen Achsrichtung erstellt werden, was detaillierte Analysen ermöglicht.

Es gibt noch viele andere Beispiele, wie moderne Machine-Vision-Technologien, etwa von MVTec, die Halbleiterfertigung optimieren. Die Redaktion dieses Magazins hat mir jedoch für diesen Artikel nicht mehr Platz für weitere Ausführungen eingeräumt. Deshalb möchte ich Ihnen für mehr Informationen den untenstehenden Infokasten samt QR-Code ans Herz legen.