Machine Vision – wohin die Reise geht

Die Feststellung, dass sämtliche Lebensbereiche einem Wandel unterliegen, ist nicht neu. Das betrifft natürlich auch sämtliche Wirtschaftsbranchen und macht vor der industriellen Bildverarbeitung keinen Halt. Aber was sind die Herausforderungen? In welchen Sektoren wird die Nachfrage steigen, wo vielleicht weniger? Welche Machine-Vision-Trends sind in den kommenden zwölf Monaten erkennbar? Dr. Maximilian Lückenhaus, Director Marketing + Business Development bei der MVTec Software GmbH, gibt eine Prognose.

Dr. Maximilian Lückenhaus Director Marketing + Business Development bei MVTec

Herr Dr. Lückenhaus, die gesamte Wirtschaft sieht sich mit verschiedenen Krisen, Engpässen und Unsicherheiten konfrontiert. Wie wirkt sich das auf die Machine-Vision-Branche aus?

Dr. Maximilian Lückenhaus: Die gesamte wirtschaftliche Situation ist aktuell natürlich geprägt von den Herausforderungen der vergangenen zwei bis drei Jahre – angefangen bei der COVID-19-Pandemie bis hin zum Ukraine-Krieg, die neben menschlichem Leid eben auch weitreichende Folgen für die weltweiten Lieferketten, den Energiemarkt und das allgemeine Preisniveau mit sich brachten. Eines der Learnings dieser Krisen ist, dass Unternehmen ihre Resilienz steigern müssen. Und hierbei spielt die Automatisierung eine wesentliche Rolle. Zudem planen Firmen, ihre Lieferketten robuster aufzustellen. Mitunter heißt das, Produktionskapazitäten ins eigene Land zurückzuverlagern. Auch hierfür ist ein Plus an Automatisierung unabdingbar. Allerdings wird dieser Trend vom anhaltenden Fachkräftemangel gebremst. Denn auch und gerade automatisierte Prozessketten erfordern hochqualifizierte Experten, die den Workflow mit fachlichem Know-how begleiten. Die industrielle Bildverarbeitung bietet schlagkräftige Antworten auf diese Herausforderungen.

Welche Antworten sind das konkret?

Das Umfeld, in dem wir uns bewegen, hat einen deutlich stärkeren Einfluss auf die zukünftige wirtschaftliche Entwicklung unserer Branche als in der Vergangenheit. Zudem wirken sich die erwähnten Risiken und geopolitischen Krisen auf Investitionsvorhaben in unseren Kundenbranchen aus, auch zum Beispiel was eine flexible Verlagerung von Produktionsstandorten betrifft. Hierfür ist es unerlässlich, dass Bildverarbeitungskomponenten verschiedene Nutzersprachen aber auch z.B. unterschiedliche lokale Industriestandards unterstützen. Das ist Punkt eins. Punkt zwei sind die Entwicklungen innerhalb der Machine-Vision-Branche. Und die sind in erster Linie technologisch getrieben. Das alles dominierende Thema hierbei ist Deep Learning. Für Unternehmen in der industriellen Bildverarbeitung bedeutet das zum einen, ihre Kunden, etwa bei Anwendungen, noch enger zu unterstützen und zum anderen technologisch eine Vorreiterrolle einzunehmen. Hier wird es nicht reichen, ausschließlich Deep Learning zu beherrschen, sondern auch in den klassischen Methoden firm zu sein und beides möglichst einfach nutzbar zu machen.

Denn neben der Automatisierung selbst ist die einfache Nutzbarmachung von Technologie eine wichtige Antwort der Bildverarbeitung auf Herausforderungen wie z.B. den Fachkräftemangel.

industrielle Bildverarbeitung bietet schlagkräftige Antworten auf diese Herausforderungen.

Wie wird sich die Bedeutung von Deep Learning für die Bildverarbeitung Ihrer Ansicht nach entwickeln?

Als Ergänzung und auch zur Weiterentwicklung klassischer Bildverarbeitungsverfahren kommt Deep Learning eine wachsende Bedeutung zu, sofern dies industrietauglich umgesetzt wird. Das Analystenhaus Gartner sieht Deep Learning einer aktuellen Untersuchung nach mittlerweile in einer Konsolidierungsphase. Das heißt, der Hype verflüchtigt sich und Unternehmen begegnen dem Thema mit mehr Realismus.

Ein dazu passendes Beispiel ist der zunehmende Einsatz von sogenannten KI-Beschleunigern. Da Deep Learning hohe Anforderungen an die Rechen Power stellt, bedarf es performanter Hardware-Komponenten. Deep-Learning-Beschleuniger sind als kleine, energieeffiziente und leistungsfähige Chips dafür prädestiniert, die Geschwindigkeit der Deep-Learning-Prozesse maßgeblich zu erhöhen. Und dank der kompakten Bauweise ermöglichen die Beschleuniger nun auch Deep Learning-Algorithmen in Rechnereinheiten mit geringem Platzangebot  – wie etwa in Industrie-PCs. Das ist ein Beispiel, wie Deep-Learning sinnvoll und passgenau in immer mehr Anwendungen eingesetzt werden kann.

In welchen Branchen wird die Bildverarbeitung in Zukunft an Fahrt aufnehmen?

Nach unserer Wahrnehmung kommt die Bildverarbeitung schon heute mehr und mehr abseits der klassischen produzierenden Industrie-Branchen zum Einsatz, beispielsweise im Nahrungsmittelsektor, der Logistik oder der Pharmazie. Um hier ihre Vorteile in vollem Umfang auszuspielen, muss die Nutzung dieser Technologie an die Anforderungen entlang der spezifischen Wertschöpfungsketten angepasst werden. Klar wird dies an folgendem Beispiel: Kunden aus diesen Sektoren fragen vermehrt kleine, kompakte Sensorik-Geräte an. Werden Bildverarbeitungsfunktionen in diese sogenannten „Edge-Devices” eingebettet, sprechen wir von „Embedded Vision“. Wichtig dabei ist jedoch, dass die Ergebnisse dieser Sensorik nicht nur lokal genutzt, sondern auch global betrachtet und interpretiert werden können. Zum Beispiel um Qualitätsvorgaben über viele transportierte Teile hinweg zentral sammeln und auswerten zu können. Für Bildverarbeitungsexperten wie uns bedeutet Letzteres, dass wir unseren Kunden auch Lösungen in der Cloud anbieten.